Ein Beitrag von Lucia Bauer-Bohle

Selbstportrait mit Flusspferd, A.Geiger, Arno: Selbstportrait mit Flusspferd
/Arno Geiger.-München: Hanser, 2015.-287 S.
ISBN 978-3-446-24761-1/ 3-446-24761-0 fest geb. 20,50 €

Der Roman beginnt mit der zufälligen Begegnung des 32-jährigen Tierarztes Julian mit seiner Jugendfreundin Judith, die ihn vor 10 Jahren verlassen hat. Julian beginnt sich an den verhängnisvollen Sommer der Trennung zu erinnern, einen Sommer voll Unsicherheit, Mutlosigkeit und Selbstmitleid, noch dazu mit Geldsorgen. Der Student Julian fühlt sich gezwungen, in Wien zu bleiben und Geld zu verdienen, um eine nachträgliche Mietforderung von Judiths Vater zu erfüllen.
Obwohl er selbst es war, der die Beziehung zu Judith, einer unkomplizierten, geradlinigen Frau, lösen wollte, obwohl ihm die Zukunft an ihrer Seite vorhersehbar erschien und er Angst hatte, etwas zu versäumen, erfasst ihn Lebensangst, als Judith die „Drecksarbeit“ der Trennung für ihn erledigt. Statt des erwarteten Freiheitsrausches stürzt er in seelische Not, in die „ Ganztagesbeschäftigung, ein junger Mann mit Schmerzen zu sein“.
Julian beneidet seinen Freund Tibor, der unbeschwert und weniger selbstzweifelnd mit Liebe und Sexualität umgeht. Er vertritt Tibor in der Betreuung eines Flusspferdes, das im Garten des ehemaligen Rektors der Veterinärmedizin, eines todkranken, ruppigen Mannes, auf eine passende Unterbringung wartet.
In das Spannungsfeld emotionalen Aufruhrs, Lethargie und Ruhelosigkeit, Liebe zum Leben und Entsetzen über Schreckensmeldungen in den Medien setzt der Autor das Flusspferd als Gegenpol. Es frisst und gähnt vor sich hin, der Inbegriff von Selbstgenügsamkeit, Absichtslosigkeit und Gelassenheit, bestechend in seiner massigen, schlammigen Schönheit. Julian fühlt, das Tier habe ihn etwas zu lehren.
Im Haus des Professors ist Julian mit Neubeginn und Abschied konfrontiert. Er verliebt sich in Aiko, die Tochter seines Arbeitsgebers, die in ihrer spröden Undurchschaubarkeit eine Gegenfigur zu Judith darstellt. Er verbringt heimliche Nächte mit der spontanen, ein paar Jahre älteren Frau, die ihn im Unklaren lässt, ob er als einziger in ihrem Leben Bedeutung hat. Gegen Ende des Sommers verlässt Aiko Wien, ohne Julian ihre Beweggründe zu verraten. Der Professor weiß, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, für das Flusspferd findet sich ein Betreuungsplatz. Diese Abschiede reißen Julian aus seiner Unentschlossenheit, er gerät in Bewegung und zuletzt weiß er, dank der Erfahrungen mit der Flusspferddame, was er zu tun hat.
Die Sprache des Erzählers ist anfangs geprägt von Unspektakulärem, Unfertigem, zeichnet lässig-locker bis ironisch das Bild eines studentischen Milieus, die bisweilen banalen Gedankengängen des Protagonisten. Genaue Beschreibungen unterbewusster Wahrnehmungen verdichten die Atmosphäre des Textes, kleine Sätze voll Melancholie und Schönheit. Gegen Ende gewinnt die Handlung Dynamik, die erleichtert.

Dieser Roman ist jungen Menschen ans Herz zu legen, aber auch ein älterer LeserInnenkreis wird sich mit ihm erinnern, wie mühsam der Übergang des Erwachsenwerdens sein kann.

„Literatur für alle“ findet nahezu monatlich statt. Lucia Bauer-Bohle stellt Neuerscheinungen und Lieblingsbücher vor. Herzlich willkommen im stets wachsenden Kreis Literaturbegeisterter!